Das Thema „Zweiter Weltkrieg/Drittes Reich“ haben wir in der Schule gefühlt hundertzwölfzig* mal besprochen. In Deutsch („Die Welle“), Geschichte sowieso, Reli, Philosophie („Ethik: Wenn ihr 19333 die Chance gehabt hättet Hitler zu töten, hättet ihr sie genutzt um den Tod von Millionen Menschen zu verhindern?“) und so weiter. Es gab Aktionswochen bei denen man das Thema „Unsere Stadt im zweiten Weltkrieg“ wählen konnte. Mit dem Fahrrad fuhren wir durchs nördliche Ruhrgebiet, auf den Spuren der damaligen Zwangsarbeiter_innen. Dort, in meiner Heimatstadt hatte die Afd 25%. Das Ruhrgebiet, ansonsten SPD Hochburg. Region im Strukturwandel.

Während über 10% der Wahlberechtigten eine rassistische Partei wählten schien die Sonne. Die Kinder tobten durchs Maisfeld. Ein ganz normaler Sonntag im Herbst
Ich habe mich oft gefragt, wie das damals passieren konnte. Wie so viele.
Irgendwann sah ich irgendwo Bilder eines Konzentrationslagers. In Farbe. Also von 1943 oder so. Und bei Sonnenschein. Irgendwie war in meiner Vorstellung immer alles schwarz weiß und Winter oder so. Ich weiß, wie absurd das klingt. Aber wie absurd erschien einer die Vorstellung dessen, was damals passierte…
Letztes Jahr war ich im November in Amsterdam. Ich stand vor dem Anne Frank Haus. Beziehungsweise auf der anderen Seite der Gracht. Das Tagebuch hatte ich einige Male gelesen. Die Schlange vor dem Haus war lang aber ich hatte auch gar nicht das Bedürfnis rein zu gehen. Die Fassade des Hauses war unwirklich, kein schickes Grachtenhäuschen, inzwischen war vielleicht auch einfach angebaut worden. Neben dem Anne Frank Haus seh ich von meiner Position die große Kirche. Leute, die vorbei Spazieren.

Die Natur zeigt sich von ihrer schönsten Seite. Keine Gewitterwolken, keine Violinen in schrillen Tönen, während die Demokratie anfängt, sich selsbt zu demontieren
So wird es auch vor 70 Jahren gewesen sein. Während sich ein Teil der Menschen versteckt, auf der Flucht ist oder bereits tot, geht für einen anderen Teil das Leben weiter. Sich irgendwie durchbeißen.
Ich weiß nicht, was ich erwaret habe, wenn ich diese Bilder und diese Orte sehe. Gewitterwolken darüber? Plötzlich auftretende Schneeböen? Ein Streichorchester das die Melodien von Die Vögel oder Dem weißen Hai spielt? Mehr Dramatik? Mehr Warnzeichen, die wie PopUp Werbung auf dem Bildschirm auftaucht und auf „die Bösen“ zeigt?
Vermutlich war es das, was es mir als Jugendliche so schwer machte, zu verstehen. Dass keine Warnschilder aufgestellt wurden. Kein Chor Klagelieder sang. Das man darauf wartete, dass diese „Witzfigur“ sich selber entblöße. So wird aktuell bei Trump darauf gewartet. Und jetzt eben hier…
Nachdem in den letzten Jahren der gesellschaftliche Tenor war, dass sich jede_r selbst di_er Nächste sei, wundern mich nicht Wut und Enttäuschung. Das erste mal als ich Wählen durfte sorgte ich mit vielen Anderen für einen Regierungswechsel zu rot-grün. Überzeugt wählte ich die SPD. Dann kam Harzt IV, unter rot-grüner Koalition in NRW durfte ich Studiengebühren zahlen (Ja, das Erststudium war dank „Bildungsgutscheinen“ einige Semester frei. Da ich aber kurz vor Antritt der entsprechenden Landesregierung beschlossen hatte, einen Master dranzuhängen wurde ich zur Kasse gebeten. 800 Euro pro Semester, die nicht in meiner Finanzplanung waren). Und in der SPD-regierten Stadt in der ich wohne, der Partei, die Bildung für Alle fordert, sind die Kita-Gebühren ein Thema auf allen Spielplätzen. Ich mein, so problematisch ich den Satz auch aus anderen Gründen finde, aber „Bei den Kinderbetreuungskosten kann ich gleich zu Hause bleiben“ sagt doch so Einiges. Enttäuscht bin ich auch.
Diesmal habe ich den Grünen meine Erststimme gegeben, trotz Sorge vor Jamaika-Koalition. Ich habe den Linken meine Zweitstimme gegeben, trotz Sarah Wagenknecht. Ich hätte diesmal gerne einer kleineren Partei meine Stimme(n) gegeben, aber ich wollte nicht, dass das unter „Sonstiges“ verpufft.
Wie auch immer. Was passiert ist, ist passiert. Es darf nur nicht so bleiben. Statt von Auswanderung zu sprechen überlege ich, wen ich wie unterstützen kann, damit es so nicht weiter geht. Wie ich mich solidarisch zeigen kann. Wie ich Projekte, die eh schon oft von wohlmeinender Unterstützung auf kommunaler und anderer Ebene abhängig sind, unterstützen kann. Ein paar Ideen für antirassistische, feministische, transsupportiv, inklusive Projekte findet ihr zum Beispiel in den Threads hier:
Schickt migrantische, queere, POC-supportenden Initiativen, Projekte und Stimmen per Reply!
Gern auch Spendenlinks.
Ich retweete das.
— Yasmina Banaszczuk (@lasersushi) September 24, 2017
und hier
Wie man z.B. aktiv werden kann: An Projekte/Organisationen spenden, denn AfD will nicht, dass Bund Projekte gegen Rechtsextremismus fördert.
— Nhi Le (@nhile_de) September 24, 2017
Dass 87% eine demokratische Partei gewählt haben ist kein Grund auszuruhen. So gar nicht. Ich wünschte, ich könnte was Klügeres sagen. Aber „tu was“ (wenn Du kannst! wenn Du Energie, Ressourcen, Spoons hast! Sonst ist es in dieser Gesellschaft ja schon ein Akt, wenn man sich selbst was Gutes tun kann) ist das Einzige, was mir grade einfällt.
Und passt auf euch und Andere auf!